Bernsteinkunst / Bernsteinschmuck
Mythologie/Schutzstein
Die Leichtgewichtigkeit und elektromagnetische Aufladbarkeit sowie gleichzeitige Brennbarkeit hat Bernstein in den vorhistorischen Zeiten eine gewisse Magie verleiht. Der Bernstein hat den Menschen seit Jahrtausenden als Schutzstein und Amulett gedient. Ein «Stein», von Sagen und Mythen umworben, begehrt und geheimnisvoll. Ein Stein, der sich warm anfühlt, leicht und transparent ist, vom Sonnenlicht bestrahlt in milden Gelbtönen, oft fast golden oder sogar orange-feurig leuchtet. Ein Stein der brennt. Bereits in vorhistorischen Zeiten erkannte der Naturphilosoph Thales von Milet /ca. 624 -546 v. Chr.) die Eigenschaft des Bernsteins nach dem Reiben mit einem Wolltuch, kleine Gegenstände anzuziehen, was wir heute statisch elektrische Aufladung nennen. Nicht erstaunlich, dass der Bernstein seit Jahrtausenden den Menschen als Schutzstein und Amulett gedient hat. Ausgrabungen von erhaltenen Grabbeigaben wie z.B. die Vielzahl an Bernstein-Glücksbringer in allen europäischen Regionen seit dem vor- und frühgeschichtlichen Altertum bis zum Mittelalter bestätigen das.
Faya Causey schreibt in ihrem wunderschön formulierten Buch “Amber and the Ancient World" folgendes: «The myths and realities and the nature and power of amber influenced the desire to aquire it» (Seite 21). Ich kann ihrer Aussage voll zustimmen. Sie bestätigt, dass Bernsteinamulette Menschen beschützen sollten; «As early as Mesolithic in northern Europe, amber was shaped into or embellished with potent symbols oft he sun, fertility, and regeneration. Amber amulets shielded owners from harm, cured or prevented disease, or ensured safe passage to the hereafter” (Faya Causey, Seite 27).
Volksmedizin
Bernstein fand schon seit Jahrtausenden Anwendung in der Volksmedizin. So schrieb z.B. der römische Arzt Kalistrat, dass Bernstein mit Honig vermischt, Hals- Ohren- und Augenkrankheiten heilt und mit Wasser eingenommen Magen-krankheiten lindert.
Galt er für die Perser als Medizin gegen diverse Krankheiten, so wurde der grüne Bernstein in China in Form von Sirup zusammen mit Opium als Beruhigungsmittel verwendet. Nach Christi Geburt verwendete man in der Kirche Bernstein anstatt Weihrauch. Er reinigte und desinfizierte die Luft. Bernsteinrauch setzte man auch bei Erkrankungen der Atemwege ein. Im Mittelalter wurden Armbänder aus Bernstein getragen, diese linderten Gelenk-und Muskelschmerzen. Ärzte empfahlen ihn unter anderem bei Magen-und Zahnschmerzen oder Halsbeschwerden. 1932 empfahlen einige Ärzte folgendes; «Amber oil is an external and internal remedy against rheumatism, is effective against whooping cough and asthma, and works as a stimulant» (Danish Amber Museum, Seite 100). Bis in die heutige Zeit werden Bernsteinketten häufig von zahnenden Kindern getragen.
Auch die Nutzung von frischem Harz oder Kopal wurde bei vielen Völkern als Volksmedizin angesehen. In Mexico hat Kopal den gleichen Stellenwert wie bei Europäern und den Bewohnern des Mittleren Ostens der Weihrauch. Die indigenen Hochkulturen Mesoamerikas benutzten Kopal als Räucherwerk in ihren Opferritualen sowie als Heilmittel für viele Arten von Erkrankungen (z. B. bei Asthma, Erkältungen oder Durchfall). In früheren Zeiten haben die Menschen in Südamerika, Nordeuropa (Schweden), teilweise in Mitteleuropa und Sibirien Harzprodukte zur Pflege der Zähne gekaut.
Bernsteinkunst / Bernsteinschmuck seit tausenden von Jahren
Bernsteinkunst in der Jungsteinzeit
Schon bereits in der Jungsteinzeit haben die Menschen mit Hilfe von Feuerstein-messern Menschen- und Tierfiguren aus Bernstein geschnitzt. Der Fund vom Schwarzort (im Kurischen Haff in Litauen) ist der umfangreichste Bernsteinfund aus dieser Zeit (3. Jahrtausend vor Chr.). Im schönen Bernsteinmuseum in Nida (Amber Gallery-Museum) haben wir den berühmten «Schwarzorter Schatz» bewundert. Einige Exponate haben wir nachbilden lassen (Vgl. Fotos unten).
Bernsteinfundorte in der Schweiz
Frau Dr. Christa Stahl hat in ihrer Dissertation «Mitteleuropäische Bernsteinfunde von der Frühbronze-bis zur Frühlatènezeit» die Verbreitung, Formgebung, Zeitstellung und Herkunft der Bernsteinfunde sehr fundiert analysiert. Ihre Arbeit ist einmalig und liefert überwältigend viele Informationen. In der Karte (Vgl. Karte) haben wir alle bekannten Fundorte der Schweiz eingetragen.
Eines der schönsten Fundstücke der schweizerischen Bronzezeit (2200–800 v.Chr.) ist die mit Goldblech gefasste Bernsteinperle von der Ausgrabung in Zürich- Mozartstrasse. Es ist ein Fund aus einer Seeufersiedlung der Frühbronzezeit. Die wunderschöne Bernsteinperle mit Goldauflage hat einen Durchmesser von knapp 3 cm. und ist im Landesmuseum in Zürich ausgestellt. Für unsere Sammlung haben wir ein Replikat herstellen lassen (Vgl. Foto unten).
In der letzten Phase der Pfahlbauepoche (Spätbronzezeit) kam es relativ häufig vor, dass Frauengräber mit Grabbeigaben wie Perlen aus Glas oder Bernstein versehen wurden. Dies gilt sowohl für die Westschweiz (Genfersee, Neuenburger See) als auch das zentrale Mittelland mit seinen Seen (Hallwilersee, Baldegger See …) sowie für die Ostschweiz mit den Seeufersiedlungen entlang dem Bodensee. Die Bernsteinperlen sind gemäss den Analysen der Forscher aus Baltischem Bernstein hergestellt worden. Es scheint, dass es auch in ganz einfachen Seeufersiedlungen etwas Luxus gab. Die Frage womit die lokalen Einwohner tauschten bzw. handelten, um sich solche Luxusgüter leisten zu können, ist noch nicht definitiv geklärt.
In der Spätbronzezeit war es in der Schweiz üblich Kleider mit modischen Bronzenadeln zu schliessen. Dies belegen 300 Nadelfunde von Mörigen am Bielersee. Bereits damals hat Italien die Mode beeinflusst. In Mörigen kamen nämlich 4 Gewandschliessen, sogenannte Raupenfibeln aus Italien von 900-800 v. Chr. zum Vorschein. Die Raupenfibel haben wir in Bernstein kopieren lassen. (Foto Replikat).
Die Schweiz ist auch reich an archäologischen Zeugnissen aus keltischer Zeit. In vielen Frauengräbern hat man Bernsteinketten oder Ohrringe mit Bernsteinperlen gefunden. Im Rätischen Museum in Chur ist eine sehr schöne Bernsteinkette aus einem Grab in Castaneda GR, 5. Jahrhundert v. Chr. ausgestellt (Foto Replikat). Ohrringe aus Bronze mit Bernsteinperlen aus Trun GR, 4. Jahrhundert v. Chr. überraschen auch (Foto Replikat).
Wikinger und Bernstein
Auch die Wikinger handelten viel mit Bernstein. Sie waren erfolgreiche Seefahrer und Händler. Archäologische Funde in wichtigen Handelsorten belegen, «dass es dort auch Bernsteinschleiferwerkstätten gab die aus Rohbernsteinen Ringe, Perlen und Amulette herstellten» (Jens Grzonkowski, Bernstein, Seite 73). Vor über tausend Jahren war Sigtuna Schwedens wichtigstes Handelszentrum. Das sehr idyllische Sigtuna gilt als Schwedens älteste Stadt. Im Sigtuna Museum & Art haben wir einen Bernsteinwürfel aus der Wikingerzeit gesehen, von welchem wir für unsere Sammlung ein Replikat haben anfertigen lassen (Foto Replikat).
Bernstein im Mittelalter
Im 13. Jahrhundert hatte sich der Deutsche Ritterorden die Eigentümerrechte an der Gewinnung und Verarbeitung des baltischen Bernsteins gesichert. Ab dem 14. Jahrhundert stand zeitweilig auf das unerlaubte Sammeln von Bernstein die Todesstrafe. Lange Zeit machten gut sichtbare Galgen entlang der gesamten Samlandküste (Gebiet zwischen Danzig und der kurischen Nehrung) auf die schwere Strafandrohung aufmerksam. Während des ganzen Mittelalters war Bernstein sehr teurer.Viele luxuriöse Kunstobjekte wurden für Adlige, Fürstenfamilien und die Kirche hergestellt. In den Büchern «Bernstein-Kostbarkeiten sowie Bernstein für Thron und Altar» werden eine Vielzahl an wunderschönen Bernsteinobjekten abgebildet. Dabei geht es um grosse Skulpturen, Schalen, Leuchter (Vgl. Foto), Segelschiffe, prächtige Deckelhumpen, riesige Prunkleuchten, Prunkschatullen, Becher, Kästchen, Spiel-schatullen, Jagdbesteck, versierte Dosen, Flakons, ein Bernsteinsessel (Thronsessel für Kaiser Leopold I), einen Kabinettschrank, Altare, Kreuze, Rosenkränze und vieles mehr.
Moderner Bernsteinschmuck
Polen ist als Verarbeiter von Bernstein weltbekannt. Wir haben zahlreiche Ateliers und Werkstätten in Gdynia, Danzig und Sopot besucht. Gdynia ist eine sehr lebendige Hafenstadt mit modernistischem Flair. Danzig mit seiner bunten Altstadt bietet Besuchern eine Zeitreise ins Mittelalter. Danzig ist Zentrum des weltweiten Bernstein-handels. Sopot liegt zwischen Danzig und Gdynia und ist eine Kurstadt mit schönen Sandstränden und einem herrlichen Grand Hotel. Die kleine Firma Gliwinski in Sopot stellt exklusiven und schlichten Bernsteinschmuck her (Vgl. Fotos). Einige ausgesuchte Schmuckstücke und Objekte aus dieser Region gehören heute zu unserer Sammlung.
Literatur:
Elisabeth Bleuer et al, Die Neolitischen und bronzezeitlichen Seeufersiedlungen des zentralen Mittellandes, Archäologie der Schweiz, 27.2004.2, Seiten 30 – 41
Sabine Bolliger Schreyer, Pfahlbau und Uferdorf. Leben in der Steinzeit und Bronzezeit. 2004, Bernisches Historisches Museum, Chronos Verlag, Zürich
Ole Faber / Lene B. Frandsen / Mariann Ploug, Amber, 2000 The Danish Amber Museum, PE offset & Reklame, Dänemark
B. Fatzer / Urs Leuzinger, Pfahlbauquartett, 4 Museen präsentieren 150 Jahre Pfahlbau-Archäologie, 2004 Grafische Unternehmung und Verlag, Frauenfeld
Jens Grzonkowski, Bernstein, Edition Ellert& Richter.
Irmgard Grüninger, Texte zur prähistorischen Sammlung im Historischen Museum St. Gallen, 1995
Albin Hasenfratz et al, Pfahlbaujuwelen am Bodensee. 27.2004.02, Archäologie der Schweiz, Seiten 4 - 15
Georg Laue, Bernstein Kostbarkeiten Europäischer Kunstkammern, 2006 Druckerei Peschke, München
Virginija Mitzgiris / Kazimieras Mitzgiris, Mysterious Amber World. UAB Gintaro Galerija. 2000
Felix Müller, Das keltische Schatzkästlein. Schmuck als Zier und Zeichen. Glanzlichter aus dem Bernischen Historischen Museum, 1999, Chronos Verlag, Zürich
Ingrid R. Metzger, Schmuck der Alpen. Von der Prähistorie bis zum Frühmittelalter. Rätisches Museum Chur 1998
Wilfried Seipel, Bernstein für Thron und Altar. Das Gold des Meeres in fürstlichen Kunst- und Schatzkammern. Kunsthistorisches Museum Wien. 2006
Christa Stahl, Mitteleuropäische Bernsteinfunde von der Frühbronzezeit bis zur Frühlatènezeit. Ihre Verbreitung, Formgebung und Herkunft. 2006 Verlag J. H. Röll, Dettelbach